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Das rote Handtuch

 

Vor 26 Jahren etwa besuchte mich ein Freund. Er lebte damals in Berlin und ich in Süddeutschland. So sahen wir uns nur selten.

Einmal vergaß er nach einem Besuch sein rotes Handtuch. Ich sagte ihm am Telefon, dass er es vergessen hätte. Er behauptete zwar es gehöre ihm nicht, aber es war jedenfalls seit seinem Besuch plötzlich da und ich kannte es gar nicht.

Ich erinnere mich noch dunkel, dass ich es einmal dabei hatte als ich ihn besuchte, aber er behauptete steif und fest, es gehöre ihm nicht und seiner Freundin auch nicht. So behielt ich es und nahm es also wieder mit.

Seither dachte ich wirklich „immer“ an ihn, sobald mir dieses Handtuch in die Hände fiel. Auch als ich einige Jahre später ein Kind durch den plötzlichen Kindstod verlor und er damit nicht zurechtkam, es ihm unmöglich war weiter mit mir Kontakt zu halten, selbst dann dachte ich immer an ihn. Nach dem Tod meines Kindes drückte ich dieses Handtuch manchmal an mein Gesicht und spürte seine Gegenwart, denn auch das empfand ich als Nähe, wenn er durch seine eigenen Gefühle so überwältigt war, dass er mir nicht schreiben konnte und nicht mit mir reden. Er „litt“ mit mir, verbunden durch dieses Stück damals noch flauschigen Stoffes.

Über Jahre hinweg begleitete mich dieses Handtuch. Es war ein großes Handtuch, zwar kein Badetuch, aber auch kein kleines, das man neben das Waschbecken an die Halterung hängen konnte. Nach dem Duschen reichte es zum Abtrocknen und auch mein weiteres Baby wickelte ich darin ein nach dem Bad und stellte es ihm so vor.

Mit den Jahren wurde es dünner und franste an den Ecken aus, aber ich weigerte mich es auszusortieren, würde „Er“ doch damit aus meinem Schrank verschwinden! Es nahm nicht mehr viel Flüssigkeit auf und wurde nur noch selten benutzt. In den letzten Jahren diente es nur noch als Unterlage für den Strand oder im Auto, wenn sich die Kinder mal wieder total einsauten.

Die Jahre vergingen und alles änderte sich. Auch meine Sexualität. Ich begann mich für Natursektspiele zu interessieren und bemerkte mit der Zeit, dass ich spritze, wenn ich zum Beispiel gefistet wurde. Irgendwann genügte als Unterlage kein einfaches Handtuch mehr und das rote schon gar nicht, so musste ich mir etwas anderes überlegen.

Nach dem Tod meiner Mama räumte ich mit meiner Schwester zusammen ihr Haus aus. Dabei fielen mir zwei Inkontinenzmatratzenauflagen in die Hände. Meine Schwester sagte gleich: „Ach, schmeiß die doch weg“. Ich wusste aber sofort was ich mit denen machen könnte und antwortete: „Ne, die nehm ich mit!“ Meine Schwester lachte und fragte scherzhaft: „Machst du noch ins Bett?“. Woraufhin ich wahrheitsgemäß unter großem gemeinsamen Gelächter mit „Ja, manchmal“ antwortete.

Jedenfalls waren die Auflagen strahlend weiß und wenn ich sie bei meinen sexuellen Aktivitäten ins Bett legte, wurden sie schnell gelb auch manchmal rot eingeschmiert von Öl, Pisse und Blut. Beim Sex störte mich das ein bisschen weil es so abstach, somit etwas schmuddelig wirkte und das Waschen auch nicht so ganz einfach war. Ich legte also das rote Handtuch auf die Auflage, sodass „sein“ Handtuch als Filter wirkte, es nur die Flüssigkeit durchließ, die Verfärbungen aber bei sich behielt. So war „er“ also auch ganz oft bei meinen intimen Spielereien dabei und ich fühlte mich so wunderbar damit.

Im Moment ist sein Handtuch in meinem Wohnwagen, da lebe ich die halbe Woche, weil ich von meinem Mann getrennt bin und dort das Singleleben ausprobiere. Ich bemerke, dass ich es nicht mehr so oft benutzen mag, denn es ist eigentlich nur noch ein Fetzen und kein Handtuch mehr. Das Frottee ist in der Mitte fast abgerubbelt und die Fransen hängen nicht nur an den Ecken herunter, sondern fast überall. Aber ich mag es nicht wegschmeißen. Als Putzlappen mag ich es aber auch nicht verwenden, so fristet es sein Gnadendasein in meinem Schrank im Wohnwagen. Wichtig ist lediglich, dass ich es bei mir habe!

Würde ich es in den Trockner schmeißen, wäre es wieder flauschiger und könnte wahrscheinlich auch wieder etwas mehr Flüssigkeit aufnehmen, aber dann würde der „Verfall“ noch schneller gehen.

Es wäre ja wirklich lustig, wenn nach  26 Jahren heraus käme, wo das Handtuch tatsächlich herkam. Vielleicht hat es meine Tochter nach dem Schulschwimmen mit nach Hause gebracht, nachdem es dort mit dem einer Klassenkameradin vertauscht wurde. Oder es landete irgendwie durch Trocknen auf der Wäscheleine im Hof, die von allen Hausbewohnern benutzt wurde, in meinen Besitz. Es gibt ja viele Begebenheiten wie man zu einem Handtuch kommen kann.

Kürzlich ertappte ich mich bei dem Gedanken, dass ich es jetzt nun wirklich bald wegschmeißen müsste. Ich erschrak über mich selbst, denn ich war total unglücklich mit dem Gedanken. Da probierte ich glaube ich zum ersten Mal ihn zu finden. Nach so vielen Jahren schien es nicht sehr einfach zu sein. Erste Adresse für so etwas ist ja das Internet. Das schlug aber alles zunächst fehl.

Bis zu diesem Weihnachten. Das Weihnachten an dem wir eigentlich alle schon untergegangen sein sollten, da beschäftigte ich mich erstmals intensiver mit Facebook. Ich hatte dort schon länger einen Eintrag, aber mich nicht wirklich darum gekümmert. Diese Weihnachtsferien hatte ich viel Zeit und so gab ich im neuen Jahr 2013 seinen Namen bei Facebook ein und siehe da, es gab ihn! Ich klickte ihn einfach mal auf meine Freundesliste und wartete ab was passierte. Schon einige Stunden später hatte ich eine Antwort. Das Telefonat war herrlich und ich wusste gar nicht, was ich ihm zuerst erzählen sollte, weil in so vielen Jahren so viel passiert war.

Er ist so herrlich unbekümmert, das wirkte schon immer fast ein bisschen naiv. Er ist klar und direkt und verfolgt seine Ziele spontan, lässt (sich) keine Zeit. Erfrischend fällt mir da nur ein und das ist genau das, was ich vermisst habe all die Jahre. Er ist da ein bisschen wie ich.

Als er mir am Telefon erzählte, dass er sich außerstande fühlte mir nach der Todesnachricht ein paar Zeilen zu schreiben, da wurde mir erst richtig bewusst, was ich alles verloren hatte damals. Seitdem trauere ich wieder, aber das ist gut so und hört auch irgendwann wieder auf. Das rote Handtuch war immer bei mir und hat mich an ihn erinnert. Und nun haben wir uns wieder.

7 Reaktionen zu “Das rote Handtuch”

  1. Cyrano

    Ich habe auch so einige “Reliquien” aus alten Zeiten, die ich nicht wegschmeißen mag.
    Weiß also genau was du meinst.

    P.s. habe bei FB auch nach alten Weggefährtinnen gesucht, leider hatte ich dabei kein Glück.

  2. xtra3

    Das Handtuch hat doch den gleichen Weg gemacht wie Deine Erinnerung…längst zerlebt und zu einer fernen Vergangenheit verblasst…und selbst so zerschlissen noch so gegenwärtig und voller Kraft. So ist es mit unseren Erinnerungen…sie sind ein Knoten in unserem Netz, eine Faser im Frottee…und mit jeder Begegnung, mit jedem Fick…wurde die Erinnerung dünner und gegenstandsloser…aber nicht weniger existent…wie Dein rotes Handtuch…

    Ich freu mich, dass Du ihn wiedergefunden hast.
    H.

  3. Dietmar Laros

    Das ist ja eine sehr schöne und rührende Geschichte. Das du damals dein Kind durch den plötzlichen Kindstod verloren hast ist schlimm und tut mir leid. Habe selbst drei Kinder und wüsste nicht ob ich an so einen Schicksal gebrochen wäre. Bist eine starke tolle Frau.

  4. unausgefuellte

    Danke für deinen wundervollen Kommentar.
    Du wärst an diesem Schicksal nicht gebrochen, wenn es dich getroffen hätte. Man bekommt immer nur das, was man auch aushalten kann. Wenn ein Mensch zerbricht, dann ist es vom Karmastandpunkt aus betrachtet auch richtig, denn dann hat er es sich so ausgesucht.

  5. Dietmar Laros

    Du ich weiß es nicht. Klar hätte ich es wahrscheinlich irgendwann damit Leben können, nur alleine der gedanke daran finde ich erschreckend.

  6. Schleierwolke

    Sehr schön geschrieben, es macht eine nachdenklich, traurig und wiederum kommen einem die schönen Gedanken in den Sinn ???

  7. teddybaer

    so eine tolle frau.

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